La Santa Muerte
Santa Muerte ist eine Figur, die in Mexiko verehrt wird. Übersetzt heißt Santa Muerte „Heiliger Tod“. Dieser personifizierte Tod ist weiblich, vielleicht, weil das spanische Wort für Tod,
muerte, weiblich ist. Manchmal wird sie auch „Santísima Muerte“ (Heiligster Tod), „la Flaquita“ (die Dürre) oder liebevoll „la Santa Niña Blanca“ (das Heilige Weiße Mädchen) genannt.
Santa Muerte hat wie jede/r richtige/r Heilige/r auch einen Feiertag. Zwar wird am häufigsten der erste November genannt, doch zum offiziellen Festtag wurde mittlerweile der 15. August, Mariä Himmelfahrt, ernannt.
Im Gegensatz zum Día de los Muertos blieb die Verehrung vom Santa Muerte bis ins 19. Jh. im Verborgenen. Wurde sie entdeckt, wurde die Verbrennung jedes gefundenen Bildnisses verlangt.
Immer öfter sieht man Statuen von Santa Muerte in ein langes weißes Kleid gewandet, mit einer goldenen Krone auf dem Kopf. Da ist es leicht Santa Muerte mit La Catrina, einem weiblichen Skelett im Hochzeitskleid, welches mit den satirischen Werken des Künstlers José Guadalupe Posada um die Jahrhundertwende populär wurde, zu verwechseln.
Obwohl Santa Muerte auch am Día de los Muertos verehrt wird, scheint sie trotz aller Ähnlichkeit, aus einer eigenständigen Tradition hervorgegangen zu sein.
1. UrsprungDer Ursprung des Kultes um den „Heiligen Tod“ ist unklar.
Einige meinen, dass er schon seit 3000 Jahren existiere und bereits von den Azteken, Zapoteken, Maya und anderen indigenen Völkern praktiziert wurde. Nach dieser Theorie geht die Figur der Santa Muerte auf die Verehrung von Mictlantecuhtli und Mictecacíhuatl zurück, dem Gott und der Göttin des Todes, der Herrscher der aztekischen Unterwelt Mictlán. Sie wurden traditionell als Skelette oder Personen mit skelettierten Köpfen dargestellt.
Man opferte ihnen u.a. die Häute von Menschenopfern und beide aßen sie angeblich die Toten. Ihr Tempel befand sich im alten zeremoniellen Zentrum der Stadt Tenochtítlan, heute Mexico City, wo sie von jenen verehrt wurden, die die Macht des Todes begehrten.
Einige Anhänger und Forscher, auch der mexikanische Schriftsteller Homero Aridjis, nennen Yoruba-Traditionen, die von afrikanischen Slaven nach Amerika gebracht wurden, als möglichen Ursprung von Santa Muerte. Dieser Theorie zufolge sei sie eine Manifestation von
Oyá, Göttin des Marktplatzes, des Donners und der Stürme.
Oyá gilt ausserdem - auch in der modernen synkretistischen Variante der Yoruba-Traditionen, dem Santería- als Herrin der Friedhöfe und wird mit der Voodoo-Gottheit Maman Brigitte gleichgesetzt.
Diese Verbindung zu Friedhöfen und Totengeistern mag der Grund für die Annahme sein, das hier die Wurzeln des Kultes von Santa Muerte liegen könnten.
Doch warnen Anthropologen, dass diese Theorien falsch begründet sein könnten und der Kult tatsächlich bis ins mittelalterliche Europa zurückverfolgt werden kann. Dort verehrten die Menschen zu Zeiten von Pest oder anderen Epidemien Skelettfiguren, welche sogar mit Wunderheilungen in Verbindung gebracht wurden.
John Thompson von der University of Arizona führt sogar Berichte aus Mexiko aus dem 18. Jh. an, die mit Santa Muerte in Verbindung stehen könnten. Darin wird beschrieben, wie Indios eine Skelettfigur fesselten und ihr Peitschenhiebe androhten, sollte sie nicht ihre Wünsche erfüllen oder Wunder vollbringen.
Ungeachtet des Ursprungs, ist der Kult erst kürzlich ein größeres Phänomen geworden.
2. IkonographieSanta Muerte wird allgemein als skelettierte Figur, gekleidet in eine lange Robe, dargestellt, die einen oder mehrere Gegenstände in den Knochenhänden hält. Am häufigsten eine Sense in der Rechten und eine Weltkugel in der Linken.
Die Sense repräsentiert hier Gerechtigkeit (schließlich erwischt der Tod jeden einmal) und die Weltkugel die Herrschaft über die Welt.
Manchmal trägt Santa Muerte auch eine Kornähre, die ihre Großzügigkeit symbolisieren soll.
In einigen Darstellungen trägt sie Waagschalen. Manche sehen darin ein Anzeichen für eine Verbindung zwischen Santa Muerte und dem Erzengel Michael. Die „guten Taten“ des Menschen müssen die „schlechten Taten“ seines Lebens überwiegen. Dieses Konzept ähnelt sehr dem Aufwiegen des Herzens gegen die Feder der Maat in der ägyptischen Mythologie.
3. Kultpraktiken und Glaubensinhalte des Kultes von Santa MuerteDer Kult beinhaltet Gebete, Rituale, und Opfergaben, welche direkt Santa Muerte dargebracht werden in Erwartung der Erfüllung spezifischer Bitten.
Statuen und Figuren verschiedener Größen werden Opfergaben dargebracht. Diese Opfergaben nehmen teilweise den christlichen Symbolismus in Anspruch: Tequila, beispielsweise, soll den Kelch Christi symbolisieren! Ein Apfel steht für die Ursünde.
Besonders beliebt sind Zigaretten und Zigarren, Schnäpse, Rum, Blumen, frisches Obst, Süßigkeiten, reines stilles Wasser und Geld. Vorallem Geschäftsleute und Ladenbesitzer bringen einen Teil ihrer Tageseinnahmen dar.
Die erwünschten Ziele der Opfergaben und Gebete sind vielfältig. Ähnlich wie in der Verehrung traditioneller Heiliger bitten die Menschen um Beistand in schweren Lebenssituationen, Schutz und Linderung von Krankheiten. Doch bei genauerem Hinsehen fällt auf, dass viele Rituale und Gebete Wünsche und Sehnsüchte zum Ziel haben, die wenig oder gar nicht mit der christlichen Doktrin vereinbar sind.
Das, was einem Handbuch für praktizierende Santa Muerte-Anhänger am nähesten kommt, ist Juan Ambrosio's „La Santa Muerte Biografía y Culto: Ventiséis rituales personales para conseguir salud, dinero y amor“. Das Buch enthält 26 Rituale für die unterschiedlichsten Zwecke, z.B. eine „Novena um eine Person an sich zu binden“, ein „Ritual gegen Schwarze Magie“, „Die Hand des Todes: um die tiefsten Wünsche zu erfüllen“ und viele andere. Diesen Ritualen liegt das heidnische Prinzip „do ut des“ (etwa „ich gebe damit du gibst“) zugrunde.
3.1 Die Bedeutung von Farben im KultFarben spielen eine wichtige Rolle im Kult um Santa Muerte. In bestimmte Farben gekleidete Figuren repräsentieren ein bestimmtes Ziel, auf das die Gebete der Gläubigen ausgerichtet sind. Ähnlich verhält es sich bei den Kerzen, die angezündet werden.
Hier ein Überblick:Gold - finanzielle Macht, Erfolg, Geld; wird meist von Geschäftsleuten und Händlern verwendet
"Knochenfarben" (ist wohl Wollweiß o.ä.) - Frieden, Harmonie besonders unter Nachbarn; für Heim und Geschäfte
Rot - Liebe, Leidenschaft, emotionale Stabilität; wird von Paaren verwendet
(Rein)Weiß - Reinigung, Abwehr negativer Energie besonders bei Neid unter Verwandten
Blau - verbessert die geistige Konzentration
Grün - juristische Probleme, Gerechtigkeit; wird am häufigsten von Anwälten verwendet
Gelb - Krankheiten heilen; Alkohol- oder Drogenentzug
Purpur - fördert die Gesundheit
Schwarz - allgemeiner Schutz u.a. gegen schwarze Magie und böse Geister; wird aber auch dazu verwendet um seinen Feinden Schaden zuzufügen!
Ausserdem schmückt jeder Gläubige seine eigene Figur, ausser mit einer Robe in einer der oben genannten Farben, nach individuellem Geschmack und Bedürfnissen auch mit U.S. Dollars, Goldmünzen, Schmuck, Fotos oder anderen Gegenständen. Die Statue soll die spirituelle Essenz von Santa Muerte enthalten und wird durch rituelle Akte mit ihrer übernatürlichen Präsenz „ermächtigt“. Beispielsweise wird Zigarrenrauch in das Gesicht der Figur geblasen. Das ist eine in synkretistischen Religionen wie Santería und Voodoo weit verbreitete Praxis, um den Geist zu „wecken“ und den Altar reinigen.
Viele Gläubige tragen kleine Amulette und Medaillen, in Mexiko allgemein milagros genannt.
Anders als in den üblichen katholischen Traditionen, lassen sich Anhänger von Santa Muerte, besonders in Gefängnissen, nicht selten ein (oder auch mehrere) Bild(er) von ihr als Tattoo stechen. Dies wird als eine Darbietung der eigenen Haut, als eine sehr persönliche Opfergabe, gesehen.
4. Santa Muerte - eine Anti-Heilige? Für einige spiegelt Santa Muerte den „Todes“aspekt der Jungfrau von Guadalupe wieder; sie verstehen sie als einen Teil der „dualistischen Natur“ der Jungfrau. Das ist für die katholische Kirche natürlich eine verwerfliche Annahme, denn wenn es um die Muttergottes geht, lässt sie ungern Raum für Spekulationen.
Sowohl katholische wie protestantische Kirchenvertreter sehen den Kult um Santa Muerte als schwarze Magie, die als Betrug verurteilt werden muss. Schließlich besiegte Jesus Christus durch sein Opfer am Kreuz den Tod. Somit steht es für die Kirche ausser Frage einen personifizierten Tod anzubeten.
Doch Santa Muerte ist eine sogenannte „Volksheilige“; eine Antwort auf das Bedürfnis der Menschen, eine spirituelle Wesenheit zu erschaffen, die Erfahrungen erklären kann, welche offizielle Lehren nicht ausdrücken können und einen spirituellen Weg aus einer extremen Notsituation oder hoffnungslosen Lage bieten.
Viele Anhänger von Santa Muerte sehen überhaupt keinen Widerspruch zwischen dem katholischen Glauben und dem Kult. Für sie existiert Santa Muerte innerhalb det katholischen Theologie und ist vergleichbar mit anderen rein übernatürlichen Wesen, nämlich den Erzengeln. Die Katholische Kirche zählt noch immer den Großteil der Mexikaner zu ihren Anhängern, obwohl die Diskussionen um gleichgeschlechtliche Ehen und Abtreibung annehmen lassen, dass ihr Einfluss im Schwinden begriffen sein könnte.
Über die letzten Jahrzehnte ist die Anhängerschaft Santa Muertes besonders in Mexikos ärmsten Vierteln auch weiter gestiegen. Viele ihrer Anhänger sind arm, ausgegrenzt von formeller Marktwirtschaft, der Rechtssprechung und dem Bildungssystem. Sie beten zu ihr, weil sie das Vertrauen in die Fähigkeiten „normaler“ Heiliger, sie aus ihrem Elend zu befreien, verloren haben.
Anthropologen bezeichnen solche Phänomene als „Krisenkulte“. Die Frömmigkeit gegenüber Wesenheiten wie Santa Muerte erreicht ihren Höhepunkt meist während sozialer oder finanzieller Notlagen, von denen die unteren Schichten der Gesellschaft für gewöhnlich stärker betroffen sind.
4.1 Die Schutzheilige der Verbrecher und SünderSanta Muerte unterscheidet nicht zwischen gut und böse, bzw. moralisch und unmoralisch oder legal und illegal. Sie geniesst großes Vertrauen und Ansehen unter ihren Anhängern, weil sie auch „die Gebete, die von den dunkelsten Orten kommen, erhört“.
So beten Kriminelle, wie Drogenhändler und verurteilte Verbrecher zu ihr und bitten sie um Hilfe und Schutz. Viele, die in Mexiko ins Gefängnis gehen ohne an Santa Muerte zu glauben, tun dies dann meist nach wenigen Monaten Haft. In vielen der Gefängniszellen finden sich Bilder von ihr an den Wänden oder in anderer Form.
Doch sie soll nicht nur vor Verrat und Verhaftung schützen, sondern wird häufig sogar gebeten, Feinden Schaden zu zu fügen oder ihnen gar das Leben zu nehmen.
Viele Gangmitglieder und andere Kriminelle tragen Tattoos, die Santa Muerte darstellen. Oft ist dies ein Zeichen der Dankbarkeit für eine erfüllte Bitte.
Es ist verständlich, warum viele illegale Migranten, die die Grenze in die U.S.A. überqueren wollen, sich hilfesuchend an Santa Muerte wenden. Schließlich ist diese Reise voller Gefahren und nicht selten kommen diese illegalen Migranten mit Menschenschmugglern oder Drogenhändlern in Kontakt. Und ausserdem ist das illegale Überqueren der Grenze per definitionem schon selber eine Straftat, für die man kaum den Beistand eines traditionellen Heiligen erwarten kann.
Den illegalen Einwanderern ist auch die fortschreitende Verbreitung des Kultes an der mexikanischen Grenze und mittlerweile auch in weite Teile der U.S.A. zu verdanken.
Da Selbstmord im Christentum eine Todsünde ist, kann kein katholischer Heiliger für solch eine Tat um seinen Segen gebeten werden. Doch es wird von Fällen berichtet, in denen sich Selbstmörder vor ihrer Tat in Gebeten oder Abschiedsbriefen an Santa Muerte wandten, um ihren Beistand zu erbitten.
4.2 Partners in crime: Santa Muerte und Jesús MalverdeIm Norden Mexikos wird Santa Muerte häufig neben Jesús Malverde, dem sogenannten „Heiligen der Drogendealer“, verehrt. Regelmäßig werden bei Drogenrazzien Ältäre für beide gemeinsam gefunden, doch in der Öffentlichkeit ist der Schrein in der Dr. Vertiz Street in der Colonia Doctores einzigartig in Mexico City.
Zwar stehen Schreine für Santa Muerte häufig in der Nähe von Kapellen und Schreinen katholischer Heiliger wie der Jungfrau von Guadalupe oder dem Heiligen Lazarus, aber einige warnen, dass Santa Muerte nicht neben Bilder katholischer Heiliger gestellt werden sollte, weil sie sehr eifersüchtig ist und sich rächen könnte.
Die Gesellschaft des spitzbübischen Jesús Malverde, einem mythologischen „Robin Hood“, der für seine Taten in den frühen 1900ern gehängt wurde und in den berühmt-berüchtigten
narcocorridos (mexikan. Drogen-Balladen - hier mal reinhören!) glorifiziert wird, scheint Santa Muerte jedoch keineswegs zu stören.
Mit Ausnahme einiger Künstler und Politiker, die den Kult aufgrund seines negativen Rufs heimlich praktizieren, sehen jene in den höheren sozio-ökonomischen Sphären mit Verachtung und Abscheu auf den Kult herab und betrachten ihn als eine Form von Aberglaube. Doch zu Santa Muertes Anhängern gehören nicht nur Kriminelle.
Denn Santa Muerte zählt auch Anhänger unter den Polizisten und dem Militär in Mexiko, die um Schutz in gefährlichen Einsätzen und Segen für ihre Waffen und Monition beten.
Auch Taxifahrern bietet sie „etwas mehr Schutz“ in den rauhen Vierteln.
Viele Menschen wenden sich, wie bereits erwähnt, aus Verzweiflung an Santa Muerte oder weil sie hoffen, dass sie ihre Bitten schneller erhört als die üblichen Heiligen. Und obwohl nicht alle von ihnen tatsächlich Straftäter sind, wird an verschiedenen stellen deutlich, dass Santa Muerte und ihre Anhänger immer wieder mit dem Verbrechen in Kontakt kommen, ihr Leben oftmals davon beeinflusst oder sogar beherrscht wird.